In Wilhelmsburg - ein Hamburger Stadtteil (flächenmäßig großter Stadtteil Hamburgs) auf der Elbinsel zwischen Norder- und Süderelbe - kristallisierten sich die Probleme der damaligen Zeit deutlicher als in den meisten anderen Stadtteilen Hamburgs.
Wilhelmsburg hat heute nach den Hamburger Stadtteilen Rahlstedt, Billstedt, Eimsbüttel, Bramfeld und Winterhude die sechstgrößte Einwohnerzahl. Im Jahr 2009 waren 21,7 % der Bevölkerung jünger als 18 Jahre (Hamburg: 15,6 %), 55,2 % hatten einen Migrationshintergrund, unter den Jugendlichen lag diese Zahl bei 73,3 % (Hamburg: 28,1 bzw. 42,2 %).
Wilhelmsburg, ein Stadtteil der unterschiedlicher nicht sein konnte: Auf der einen Seite die 'Veddel' und der 'Reiherstieg', traditionelle Arbeiterbezirke mit einer direkten Bindung zum Hamburger Hafen, auf der anderen Seite eine fast ländlich-bäuerliche Idylle mit vielen Grünflächen. Dazwischen der Bahnhofsbereich (Bahnhof Wilhelmsburg) mit den typischen roten Klinkerhäusern der 50er Jahren, die für viele Familien Wohnraum bot. Mitte der 70er Jahre entstand 'Kirchdorf-Süd' - 'moderner' Wohnraum für 6.000 Menschen - im typischen 'Ghetto-Style' einer Hochhaus-Plattenbausiedlung (damals sollten Teile von Wilhelmsburg zum Industriegebiet gemacht und die Menschen hierher umsiedelt werden).
Die schwere Sturmflut von 1962, bei der alleine in Wilhelmsburg 207 Menschen ertranken, hat große Teile von Wilhelmsburg überflutet und zum Teil zerstört. "Abgesoffene" Häuser, gerade im Reiherstieg, wurden 'trockengelegt' und bieten heute noch 'unverändert' Wohnraum für viele Menschen.
Das große Angebot an Wohnraum - nicht zuletzt wegen der zum Teil relativ 'niedrigen' Mieten, bedingt auch durch den teilweise desolaten Zustand der Wohnungen - wurde von vielen jungen Menschen genutzt, um hier in ihre ersten eigenen Wohnung oder mit Freunden in eine WG zu ziehen. Darüber hinaus zogen viele ausländische Menschen mit Ihren Familien nach Wilhelmsburg. So sind auch heute noch rund 23% der Bevölkerung jünger als 18 Jahre und 35% sind Ausländer (Hamburg: 15%). Es leben heute knapp 50.000 Menschen in Wilhelmsburg.
Immer mehr (junge) Menschen lebten in Wilhelmsburg - lebten 'zusammengepfercht' in Kirchdorf-Süd, ohne das es die geringsten soziokulturellen Entfalltungsmöglichkeiten gab; das Leben spielte sich auf der Straße oder in 'Kneipen' ab. Die Konflikte waren vorprogrammiert und eskalierten in Gewalt und absurden Menschen- und Ausländerhass.
Auch wir, damals um die 20 Jahre alt, fanden kaum Möglichkeiten. Nach Hamburg "in die Stadt" zu fahren scheiterte regelmäßig an der nicht vorhandenen 'Kohle'. Unsere Freunde in Wohngemeinschaften waren unsere 'Anlaufstellen' um gemeinsam mit anderen Menschen die Freizeit zu verbringen.
Aber auch diese 'Möglichkeiten' waren sehr eingeschränkt und führten immer wieder zu Auseinandersetzungen mit Nachbarn oder Vermietern.
Keine Frage: Es musste etwas passieren!
Es hatte sich inzwischen ein "harter Kern" von ca. 30 jungen Leuten zusammengefunden, die der Forderung nach einem Jugendzentrum für Wilhelmsburg in der Öffentlichkeit mehr Gewicht und ein "Gesicht" geben wollten. So entstand die Jugendzentrumsinitiative Wilhelmsburg (JZI).
Von der JZI wurde ein Kellerraum im Vogelhüttendeich - untern einem kleinen Schallplattenladen - angemietet; es entstand das provisorische "Jugendzentrum" und war seit dem Anlaufstelle für alle weiteren Aktivitäten und - wie sollte es auch anders sein - für legendäre Feten. Ein Miniklo und eine Miniküche machten es möglich.
Man kann sich nach gut an dieses "Kellerzentrum" erinnern. Gerade im Winter, wenn es kalt war, musste der Kohleoffen "befeuert" werden: Das wir keine Rauchvergiftung bekommen haben ... ein Wunder.
Alles war provisorisch, genau so, wie man es sich immer vorstellt: Matratzen auf dem Fußboden, Plakate an den Wänden, leere Flaschen überall, Bierkisten (meisten leere), "unaufgeräumte" Küche, das Klo (!!) ... man war das alles gemütlich! Natürlich wurde hier auch immer Musik von "Hand" gemacht.
Nein, nicht nur gefeiert wurde; es wurden gemeinsam Aktionen für ein Jugendzentrum geplant und erarbeitet, und als "Presseorgan" unsere "Zeitschrift" Wilhelm Burger erstellt.
Der Wilhelm Burger gab der Jugendzentrumsbewegung eine Stimme und wurde bei allen Gelegenheiten und an allen Ort in Wilhelmsburg verteilt (oder verkauft?).
Obwohl die Bewegung in dieser Zeit auf immer breite Beine gestellt wurde - Unterstützung der Forderung durch die Kirchengemeinden, Jugendorganisationen und politische Organisationen, gemeinsame Gespräche und Aktionen - passierte einfach viel zu wenig ... es dauerte uns alles einfach zu lange.
Keine Frage: Es musste etwas passieren!
Es reichte einfach, nix passierte: Also wurde 1976 eine Demonstration von der Mengestraße zum Rathaus Wilhelmsburg organisiert. Anlass war eine Ortsauschusssitzung (Themen?) im Rathaus. Also: Transparente und Plakate raus, von der Mengestraße als "Demozug" zum Rathaus, Parolen rufen und rein in die Sitzung ... und dann einfach nicht wieder weg gehen ("Besetzung"?)
Man, gab das eine Aufregung und Empörung bei den Politikern und in der Presse: "Was sich diese Jugendlichen eigentlich einbilden". Aber, endlich nahm man unsere Forderungen "deutlicher" zur Kenntnis und es wurde deutlich, dass wir ein Jugendzentrum für Wilhelmsburg durchsetzen wollen und werden.
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(Parole der JZ-Bewegung in Wilhelmsburg, 1977)
Und jetzt kam die Honigfabrik ins Spiel.
Seit 1906 steht die Honigfabrik am Veringkanal und wurde, nach einer erneuten Erweiterung 1912, als Margarinefabrik genutzt. Nach dem 2. Weltkrieg wurde hier Honig geschleudert und abgefüllt.
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Musik war ein wesentlicher Bestandteil der Bewegung für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum in Hamburg-Wilhelmsburg und damit letztendlich für die Honigfabrik Wilhelmsburg.
Innerhalb dieser Bewegung wurde immer Musik gemacht. Aufgrund der Gegebenheiten (keine Übungsräume, kein Platz, kein Geld) anfänglich Musik von Liedermachern - politisch orientierte Lieder - die nur in selbst angemieteten Kelleräumen, in Garagen oder in der Wohnung gemacht werden konnte.
Jeder, der Musik machen wollte oder konnte beteiligte sich mit "Leib und Seele" an diesen "Sessions". Es wurde Texte geschrieben - zum gemeinsamen Singen vervielfälltigt, Musik dazu komponiert und gemeinsam gesungen und gespielt. Ob mit Gitarre, Akkordon, Geige, Querflöte, Mandoline, Trommeln aller Art, Schellen, Bongos, usw... es war ein heiden Spaß! Auf keiner Fete - und es wurde viel und richtig "gefetet" - fehlte handgemachte Musik! Irgendwie hatte die Leute immer Instrumente mit dabei, setzen sich zusammen (sehr beliebt in der Küche) und machten einfach Musik.
Bei allen Aktionen und Veranstaltungen für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum waren die musikalischen Darbietungen immer ein wichtiger Bestandteil und fehlten nie. Ob beim Verteilen von Flugblättern auf dem Stübensplatz oder bei Veranstaltungen.
Aus dieser "Musik-Bewegung" resultierte u.a. die Gruppe Schlaraffenland als feste Formation mit vier Musikern und bildeten den Ursprung oder Kern der Musikszene in Wilhelmsburg (vielleicht vermessen, denn natürlich machten andere ebenfalls Musik, aber sie waren für das Thema "Honigfabrik und Musik" damals weniger oder nicht transparent gewesen).
Sie formulierten die Interessen der Musiker in Wilhelmsburg: Sie brauchten Übungsräume und damit Freiräume für ihre Musik. Und wenn nicht in einem selbstverwalteten Jugendzentrum, wo denn sonst!
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Hier Musiktitel von einigen Gruppen aus der Honigfabrik. Alle Aufnahmen stammen aus der Sendung "NDR - Im Gespräch " (Oktober 1981) und wurden "mobil und Live" vom NDR in der Honigfabrik aufgenommen.
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